Mal was anderes. Der norwegische Schachverband hat am vergangenen Sonntag mit einem deutlichen Ergebnis den möglichen Deal mit der Glücksspielgruppe Kindred abgelehnt. Trotz des verlockenden Geldsegens – circa fünf Millionen Euro über fünf Jahre – ist es aus meiner Sicht die richtige Entscheidung.
Weltmeister Magnus Carlsen beherrschte in den letzten Tagen die Schachpresse. Einmal durch seinen furiosen Turniersieg auf der Grand Chess Tour in Zagreb, bei der er gegen die versammelte Weltspitze acht Punkte aus elf Partien holte. Sein Versuch, den Deal zwischen dem norwegischen Schachverband und Kindred durchzudrücken, schaffte es ebenfalls in die Schlagzeilen. Stefan Löffler berichtete für die FAZ und auch die geschätzten Bodenseeperlen beleuchteten den Deal kritisch. Gestern äußerte sich Garry Kasparov auf chess24 zu dem Deal – bei starken inhaltlichen Defiziten – und hat dem norwegischen Verband Scheinheiligkeit vorgeworfen. Doch der Reihe nach.
Der Deal mit Kindred
Fünf Millionen Euro, verteilt über fünf Jahre, wollte die maltesische Glücksspielgruppe dem norwegischen Schachbund auf den Tisch legen. Kein normales Sponsoring – die Führung um Präsident Madsen sollte für die Aufweichung des staatlichen Glücksspielmonopols lobbyieren. Neben dem Präsidium gehörte auch Magnus Carlsen zu den Unterstützern des Deals.
Beginnen wir vorne
Das norwegische Schach hat eine Vorgeschichte mit dem Glücksspielunternehmen. Unter dem Dach der Kindred-Gruppe sind elf Buchmacher und Online-Casinos vereint; Unibet ist hiervon das bekannteste in Deutschland. Als im Jahr 2014 die zweite Auflage des Norway Chess stattfand war Unibet offizieller Hauptsponsor. Problem nur, dass in Norwegen Werbung für Glücksspiel – mit Ausnahme der staatlichen Lotterie – strikt verboten ist. Das Turnier, das mittlerweile unter dem Namen Altibox Norway Chess bekannt ist, musste 2014 deshalb No Logo Norway Chess heißen. Norsk Tipping ist noch heute das einzige staatlich lizenzierte Glückspielunternehmen. Ähnlich wie in Deutschland fördert die nationale Lotterie den Sport in Norwegen, doch das Schach erhält keinen Anteil an den Glücksspiel-Kronen, da es nicht als solcher anerkannt wird.
Unibet er sponsor av Norway Chess og skal vise direkte fra turneringen! Se Magnus Carlsen & co direkte på Unibet TV: http://t.co/Y5yAHoIfKd
— Unibet Norge (@UnibetNorge) May 6, 2014
No Logo Norway Chess 2014 war das erste Turnier, für das Wetten angeboten wurden; zumindest das erste, für das ich welche entdeckt habe. Trotz regelmäßiger Suche. Der mittlerweile am deutschen Markt nicht mehr aktive Buchmacher Marathonbet und der offiziell-nichtoffizielle Hauptsponsor Unibet boten Quoten auf Carlsen und Co. Simen Agdestein, früherer Fußballnationalspieler und Carlsen-Trainer, ging als Außenseiter auf den Turniersieg ins Rennen mit Quoten von 751:1, während Carlsen mit 1,68:1 gehandelt wurde. Unibet hatte weniger Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und bot deutlich geringere Quoten an.
Auch für die einzelnen Runden wurden Quoten angeboten und Unibet lockte mit einem Auszahlungsschlüssel von durchschnittlich 92% nicht unbedingt semi-professionelle Wetter an. Marathonbet lag vier Prozentpunkte höher und ich beschloss mich dem Turnier zu widmen. Zum Thema Schachwetten aber vielleicht mal an anderer Stelle mehr.
Obwohl das Turnier mit großem Aufwand beworben wurde und sogar Live-Wetten angeboten wurden, wurde es danach ruhiger um Unibet und Schach. Es wurden noch Wetten zur Schacholympiade in Tromsø angeboten und in den Folgejahren hin und wieder Wetten zu den Weltmeisterschaftskämpfen und Norway Chess. Eine konsequente Begleitung – wie in anderen Randsportarten üblich – blieb aus. Marathonbet behielt Schach im Angebot und hat heute auch Turniere weg von der Weltspitze im Angebot. Derzeit kann zum Beispiel auf die Amerikanische Kontinentalmeisterschaft gewettet werden; die Elo-Spanne reicht von 2517 bis 2625. Dort spielen zwar auch viele Amateure, auf die kann aber nicht gewettet werden. Aus den rein logischen Gründen.
Wie oben schon erwähnt hat sich Marathonbet vor ein paar Jahren aus dem deutschen Markt zurückgezogen. Die unsichere Rechtslage und die Wettsteuer in Höhe von 5% sollen den in Curaçao lizenzierten Buchmacher zu dieser Entscheidung getrieben haben. Diesen Platz haben nun andere Wettanbieter gefüllt. Insbesondere Bwin, das auch Wetten auf die Schachbundesliga anbietet, zeigt gesteigertes Interesse und auch Unibet, das das WM-Match 2018 zwischen Carlsen und Caruana gesponsert hatte, hat in den letzten Monaten das Angebot wieder intensiviert.
Der Deal mit dem Norwegischen Schachbund
Dass Kindred den besagten Deal angestoßen hat, ist kein Wunder. Schach boomt weltweit, die Zuschauerzahlen der Turniere steigen. Und zu jedem ordentlichen Sportevent gehört eine anständige Wette! Und was bietet sich mehr an, als den norwegischen Schachbund mit Magnus Carlsen als Zugpferd ins Boot zu holen?
Im Fußball scheint es ja fast schon Pflicht zu sein, sich von einem Wettanbieter sponsern zu lassen. Die Vereine der dritten Liga laufen mit Ärmelbeflockung von Bwin auf und machen damit ihren eigenen Sponsoren Konkurrenz: Lotto Rheinland-Pfalz ist Exklusiv-Partner des 1. FC Kaiserslautern. Noch kurioser ist es beispielsweise bei Hansa Rostock, die zusätzlich auf der Brust vom Anbieter Sunmaker gesponsert werden. Wie verwoben der Sport und das Wetten mittlerweile sind und vor allem wie unkritisch mit der Problematik umgegangen wird, zeigt ein „Zeitungsartikel“ des Pfälzischen Merkurs, der mit folgendem Absatz endet:
„Fußball und Sportwetten gehören zusammen, also ist es ganz normal, dass Wettanbieter sich als Sponsor beteiligen. Wer weiß, vielleicht gewinnen in der nächsten Saison so einige Auswärtsfahrer die Fahrtkosten zurück, weil sie doch aufs richtige ballspielende Pferd gesetzt haben?“
Das schaffen wir beim königlichen Spiel auch! Die Zuschauerschaft, die auf ihren Lieblingsspieler wetten und im Kräftemessen des Rechthabens teilnehmen will, muss nur noch generiert werden. Hier steckt noch Potenzial drin. Im Jahr 2019 sollen 40 Milliarden Euro im stetig wachsenden Sportwettenmarkt umgesetzt worden sein.
In Deutschland. Und die Rendite kann sich auch sehen lassen: Kindred machte 2017 weltweit einen Gewinn in Höhe von 751,4 Millionen Euro laut Wikipedia. Die Beweggründe für das maltesische Unternehmen liegen damit auf der Hand.
Mit 132 zu 44 Stimmen abgelehnt
Der norwegische Schachbund hat den Deal mit einer großen Mehrheit abgelehnt. Auch wenn Carlsens neu gegründeter Klub Offerspill mit seinen 41 möglichen Delegierten zur Abstimmung erschienen wäre, hätte die Versammlung dem Deal eine Absage erteilt. Die Tatsache, dass es kein normales Sponsoring gewesen wäre, hat wohl die meisten zur Nein-Stimme bewogen. Als Lobbyist hätte der Schachbund sich einsetzen sollen, dass das Glücksspielmonopol gelockert wird. Selbst für einen Verband, dessen Jahresumsatz auf eine gute Viertelmillion Euro beziffert wird war das ein zu hoher Preis.
Warum es die richtige Entscheidung war
Ich will an dieser Stelle gar nicht vom Grauzonen-Zustand in Deutschland, der unhaltbaren Limitierungspraxis der Praxis der Buchmacher und den Gefahren durch Spielsucht oder Manipulation anfangen. Die Missstände, insbesondere die beiden letzteren, sind hinlänglich bekannt und werden geflissentlich ignoriert.
Ein Sponsoring ist immer eine Vereinnahmung und sich einer Sache gemein zu machen. Der 1. FC Kaiserslautern verkündet auf seiner Webseite bezüglich seiner Kooperation mit Lotto Rheinland-Pfalz:
„Unter anderem mit der Sportwette ODDSET ist Lotto Rheinland-Pfalz mit dem Herzen und mit tatkräftiger Unterstützung immer an der Seite des 1. FC Kaiserslautern.“
Ich lasse das jetzt mal so stehen.
Wenn der FC Bayern München ein Staatssponsoring mit einem Land eingeht, in dem Ausbeutung von Gastarbeitern und Menschenrechtsverletzungen zum guten Ton gehören, dann macht er sich auch damit gemein. Darüber lässt sich unter Umständen noch diskutieren oder, einfacher, die Thematik in Beckenbauer-Manier ins Reich der Fabeln verweisen. Ist es aber Sinn eines Vereins oder eines Verbandes sich politisch instrumentalisieren zu lassen? Mir geht es hier nicht um das Eintreten für Werte oder Aktionen gegen Rassismus in deutschen Stadien. Die Lobbyarbeit für ein Regime oder aber im Fall des norwegischen Schachbundes für ein Unternehmen, das die politischen Rahmenbedingungen verändern möchte, gehört nicht zu den Kernaufgaben dieser Institutionen. Zumal der einzige Beweggrund diesen Deal durchzusetzen von monetärer Gestalt gewesen wäre. Das norwegische Schach ist ansonsten indifferent darüber, ob nun das Glücksspielmonopol aufrechterhalten wird oder nicht. Und wenn ich mich in dieser Hinsicht prostituiere, dann doch für den entsprechenden Gegenwert. Überträgt man den Pro-Kopf-Umsatz von Deutschland auf Norwegen, stecken im Königreich 2,54 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Das stünde Unibet und der Kindred-Gruppe zwar nicht exklusiv zu, aber angesichts der Riesengewinne wäre durchaus ein Vielfaches der angedachten Summe möglich. Wenn ich also meine Werte und politischen Überzeugungen ins Schaufenster stelle, dann doch mit dem entsprechenden Preisschild.
Im oben verlinkten Statement von Garry Kasparov fehlen diese Ansätze komplett. Zwar hält er Alkohol- und Tabakwerbung in Verbindung mit Sportverbänden unangemessen, den Deal mit Kindred befürwortet er aber, unter anderem mit der Begründung, dass keine „echte Debatte um Glücksspiel an sich geführt“ werden würde. Kausalkette. Dazu bringt er die Positionen der Verbandsführung und der Versammlung durcheinander, wie Stefan Löffler richtig anmerkte.
In opinion piece for @chess24com @Kasparov63 sees parallels between his and Carlsen's fight to commercialize chess but fails to mention that Norway's chess leaders supported Kindred deal and ignores the monopolists efforts against pathological gambling. https://t.co/ohpIqJhHqu
— Stefan Löffler (@StefanLoeffler) July 11, 2019
Aus einem Grund bin ich aber trotzdem traurig. Wenn der Deal durchgewunken worden wäre, hätte das System vielleicht Schule gemacht. Wir sähen zum Beispiel den Deutschen Schachbund und den Deutschen Ringer-Bund gegeneinander lobbyieren, ob Autobahnen privatisiert werden sollen oder der DFB setzt sich für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ein. Denn wenn wir von einer Berufsgruppe mehr brauchen, dann Lobbyisten.
Am Ende dennoch ein Gewinn für das norwegische Schach
Die Aufmerksamkeit rund um den umstrittenen Deal hat letztlich doch noch für positive Effekte gesorgt. Carlsens neuer Klub Offerspill war innerhalb kürzester Zeit der mitgliederstärkste Schachverein Norwegens. Seine Strahlwirkung und das Versprechen die Beiträge der ersten 1000 Mitglieder aus eigener Tasche zu zahlen hat dafür gesorgt, dass sich die Mitgliederzahl innerhalb von Stunden um ein Viertel erhöht hat. Allein das bringt dem Verband circa 60.000 Euro zusätzliche Einnahmen im Jahr.
Weiter tut sich aktuell eine neue Möglichkeit auf um an die Glücksspielmillionen zu kommen. Der norwegische Kulturminister hat angekündigt Schach als Sport anerkennen zu wollen. Damit bekäme das Schach in Zukunft auch einen Teil vom nationalen Glücksspielkuchen.
Norges Kulturminister varsler lovindgreb som definerer skak som idræt.@DIFidraet :Skak har også lidt af manglende støtte i Danmark fordi vi blev afvist optagelse i DIF, trods at IOC anerkender skak. https://t.co/pr4Oczlc4k
— Peter Heine Nielsen (@PHChess) July 9, 2019
Dass der geplatzte Deal für einen Tränensee in Malta sorgt, ist unwahrscheinlich. Nur weil der norwegische Verband das Geld abgelehnt hat, heißt es nicht, dass kein anderer es nimmt. Ob nun in Norwegen um das Glücksspielmonopol zu kippen oder weltweit um näher an das Live-Schachpublikum zu kommen. Es gewinnt natürlich immer der Buchmacher.